Eine Frage von Kontext, Kultur und Emotionaler Intelligenz
Die Frage, ob und in welchem Ausmaß Emotionen am Arbeitsplatz stattfinden sollten, lässt sich nicht so einfach beantworten. In der aktuellen Ausgabe der schweizerischen Zeitschrift HR today spricht sich ITB-Beraterin Dr. Nora Schütte dafür aus, das Zeigen der eigenen Emotionen abzuwägen und an die spezifischen Gegebenheiten anzupassen. Für eine solche Herangehensweise sprechen vor allem Forschungsergebnisse, die zum Thema der Emotionalen Intelligenz zusammengetragen worden sind.
Emotionale Intelligenz
Emotionale Intelligenz beschreibt die Fähigkeit, die eigenen Gefühle und Emotionen sowie die Gefühle und Emotionen anderer Menschen korrekt wahrzunehmen und diese Beobachtungen zu nutzen, um eigene und/oder fremde Emotionalen zu steuern (regulieren) und auf eine angemessene Weise auf sie zur reagieren.[1] Anders aus-gedrückt besteht Emotionale Intelligenz aus vier grundlegenden Komponenten: der Wahrnehmung von Emotionen, dem Verstehen von Emotionen, der Nutzung von Emotionen und der Regulation von Emotionen.
Eine quantitative Zusammenfassung verschiedener wissenschaftlicher Studien[2] (Meta-Analyse) konnte bestätigen, dass die Emotionale Intelligenz einen Mehrwert bei der Vorhersage von Leistung am Arbeitsplatz liefern kann. Dabei geht man davon aus, dass die Komponenten Wahrnehmung, Verstehen und Regulation von Emotionen aufeinander aufbauen und die Regulation, als letztes Glied dieser Kette, Arbeitsleistung direkt vorhersagt:
Wahrnehmung > Verstehen > Regulation von Emotionen > Arbeitsleistung
(Die Komponente Nutzung wurde aufgrund mangelnder empirischer Bestätigung aus dem Modell gestrichen.)
Das Kaskaden-Modell
In diesem sogenannten Kaskaden-Modell beschreibt der erste Schritt die Fähigkeit, Emotionen korrekt zu erkennen bzw. Emotionen zu identifizieren, die andere fühlen. Die Emotionserkennungsfähigkeit ist das grundlegende Element der Emotionalen Intelligenz, da auf der Basis des Erkennens der Bedeutung und der Beziehung von Emotionen korrekte Urteile über andere gefällt und darauf aufbauend, soziale und interpersonale Probleme gelöst werden können.
Der zweite Schritt beschreibt die Fähigkeit Emotionen korrekt zu verstehen. Dabei handelt es sich um akkumulierte Wissensstrukturen über die Auslösung und die Konsequenzen emotionaler Zustände bei Menschen[3]. Dies ist von Bedeutung, da die emotionalen Ausdrücke einer Person nicht immer ihren wirklichen inneren Gefühlen entsprechen. Soziale und organisationale Regeln können dazu führen, dass die tatsächlichen Emotionen kontrolliert werden bzw. kontrolliert werden müssen. Emotionale Ausdrücke können ebenfalls manipuliert werden, um der sozialen Kommunikation oder der eigenen Außendarstellung zu dienen. Emotionales Wissen und das Bewusstsein über emotionale Zustände anderer erlaubt ein verbessertes Verständnis der Motive und Bedürfnisse anderer. Mithilfe dieses Wissens können unterstützende soziale Beziehungen aufgebaut und gepflegt werden.
Die Bedeutung des Kontextes
Darüber hinaus lässt sich festhalten, dass die relative Bedeutung der Emotionalen Intelligenz am Arbeitsplatz vom Kontext abhängig ist, zum Beispiel von der Komplexität einer auszuführenden Aufgabe oder dem Grad der Emotionsarbeit (d.h. dem Grad, indem das verstecken eigener und das Darstellen erwünschter Emotionen am Arbeits-platz gefordert ist). Weitere Einflussfaktoren können natürlich auch das Klima einer Organisation sein, die Form der Interaktion, die Fehler- oder Feedbackkultur, die mit bedingen können inwieweit und in welcher Form es nötig ist, die eigenen Emotionen zu regulieren.
Emotionen am Arbeitsplatz sind also weder immer falsch noch immer richtig. Der spezifische Kontext sowie auch unsere Emotionale Intelligenz können uns Hinweise dafür liefern, wann und in welchem Ausmaß das Zeigen oder auch das Reagieren auf bestimmte Emotionen im Arbeitskontext hilfreich ist. Eins lässt sich jedoch mit Sicherheit sagen: Wenn wir Emotionen zeigen, dass müssen diese auch authentisch sein!
Quellen:
[1] Mayer, J.D. & Salovey, P. (1997). What is Emotional Intelligence? In P. Salovey & D. Sluyter (Hrsg.), Emotional Development and Emotional Intelligence: Implications for educators. New York: Basic Books, S. 3-31.
[2] Joseph, D. L. & Newman, D. A. (2010). Emotional intelligence: an integrative meta-analysis and cascading model. Journal of Applied Psychology, 95, 54-78.
Weiterführende Literatur:
[3] Schütte, N. & Blickle, G. (2015). Diagnose des Erkennens und Verstehens von Emotionen zur Vorhersage beruflichen Erfolgs. In M. Kersting, S. Koch, & S. Weingarz (Hrsg.), Auf die richtigen Mitarbeiter kommt es an (S. 173-186). Stuttgart: Deutscher Sparkassenverlag.
Links:
Zur Debatte bei HR today: http://hrtoday.ch/de/article/crying-at-work-debatte-traenen-am-arbeitsplatz