Karriere neu denken!? – Das Karriereverständnis im Neuen Normal

„Jede Karriere sollte so einzigartig sein, wie die Person, die sie macht. Um das volle Potenzial ausschöpfen zu können, muss vielfältige Führung dies berücksichtigen – mit Wertschätzung für unterschiedliche Perspektiven und flexiblen Karrierekonzepten.“

In diesem Artikel

Karriere ändert sich und verlangt neue Antworten und Angebote von Unternehmen und Organisationen. Der aktuelle Jahresreport der Initiative Chefsache, eines Netzwerks von derzeit 26 Mitgliedern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Medien sowie dem öffentlichen und sozialen Sektor, verdeutlicht dies besonders. Knapp 1.700 befragte Erwerbstätige unterstreichen die Notwendigkeit, Karriere neu zu denken. Welche richtungsweisenden Trends gibt es? Was bedeutet das für die Erwerbstätigen selbst, ihre Führungskräfte, ihre HR‘ler und ihre Organisationen? Was brauchen Sie für Ihre persönliche Karriereplanung und wie können Sie in ihrer Rolle andere bei ihrer Karriereplanung unterstützen?

Wir betrachten die Trends im neuen Karriereverständnis multiperspektivisch und fassen diese für Sie zusammen:

Wie sieht das neue Karriereverständnis aus?

Während Karriere lange Zeit bedeutete, sich in der Hierarchie nach oben zu arbeiten, sieht das neue Verständnis deutlich anders aus. Statt die Karriereleiter zu erklimmen, heißt Karriere heute für die Befragten, sich persönlich weiter zu entwickeln, häufiger etwas Neues zu tun und in der Tätigkeit selbst Sinn und Zufriedenheit zu erfahren. Mehr Verantwortung ist für weniger als 30 % der befragten Führungskräfte ein lohnenswertes Ziel. Die Bereitschaft für berufliche Wechsel steigt, wobei die Wechselmotivation bei weiblichen Nachwuchsführungskräften mit fast 60 % am größten ausfällt.

Karriere mitten im Neuen Normal

Bei der Frage wann und wo gearbeitet wird, haben Digitalisierung und Corona-Pandemie ein Neues Normal geschaffen. Groß ist der Wunsch nach flexibler Einteilung der eigenen Arbeitszeit; und auch bei der Gesamtarbeitszeit gibt es (jetzt) Grenzen: vier von fünf Erwerbstätigen finden, dass beruflicher Erfolg mit weniger als 40 Stunden pro Woche möglich sein sollte.

Der Arbeitsort kann unterschiedlich aussehen. Homeoffice ist für viele nicht mehr wegzudenken: Produktivität und Vereinbarkeit von Familie und Beruf schlagen physische Anwesenheit.

Auch Erwartungen an Führung ändern sich massiv. Feedback wird häufiger eingefordert, und die eigene Führungskraft ist nur noch eine Quelle neben anderen (z. B. Teammitglieder, Personen aus anderen Abteilungen) Und: Karriere ist nicht mehr das Thema einer einzelnen Person, sondern wird aus Partnerschafts- oder Familienperspektive übergreifend betrachtet. Mütter und Väter wollen sich beruflich verwirklichen – und das private Leben soll nicht neben dem Erwerbsleben ein Nischendasein fristen.

Karriere – do it yourself  

Erwerbstätige wechseln häufiger – damit sinken die Verweilzeiten in Positionen und Unternehmen. Der Fach- und Führungskräftemangel bietet Joboptionen und senkt die Schwelle für berufliche Wechsel. Organisationen und Unternehmen verstärken im Gegenzug Halte- und Bindungsangebote. Vor dem Hintergrund dieser Situation wird der vertrauensvolle Austausch mit Gesprächsbeteiligten außerhalb der aktuellen Organisation immer wichtiger. Erwerbstätige tun gut daran, wenn sie ihre Karriere stärker in die eigenen Hände nehmen und sich geeignete Personen zum Sparring suchen. Dies können bestehende Netzwerke, Freundeskreise aus Ausbildungszeiten oder externe Coaches sein. Erwerbstätige wechseln in den Driver’s Seat und steuern eigenverantwortlich ihre Karriere, statt auf Angebote zu reagieren.

Mehr Wollen – weniger Können

Hinzu kommt eine Verschiebung vom „Können“ zum „Wollen“. Fehlende Kompetenzen sind vor obigem Hintergrund immer seltener Showstopper. Erwerbstätige wollen Neues lernen, und aufnehmende Organisationen sind aufgrund des Fachkräftemangels stärker bereit, Lücken beim „Können“ zu tolerieren. Mehr Bedeutung bekommt das „Wollen“, und dies ist in erster Linie Sache der Erwerbstätigen. Was reizt mich? Welche Themen könnten mich interessieren? Sehe ich mich eher als Person mit Expertise  oder als Führungskraft? Dies gilt es herauszufinden, was eine Reflexion eigener Motive und Werte bedeutet und durch eine:n vertrauensvollen Gesprächspartner:in leichter gelingen kann. Der Blick der Erwerbstätigen richtet sich also zum einen verstärkt auf die eigene Person und zudem nach außen über die Grenzen der eigenen Organisation hinaus.

Karriere – aus Sicht der Führungskraft

Was bedeutet ein verändertes Karriereverständnis für die Rolle der Führungskräfte? Zunächst einmal braucht es mehr Zeit, seinem Team zuzuhören. Was interessiert mein Gegenüber? Bei welchen Themen entsteht ein besonderes Leuchten in den Augen? Es geht darum, aufmerksam zu sein und mitzubekommen, was jede:r Einzelne will, und zwar nicht einmal oder zweimal im Jahr, sondern am besten wöchentlich. Nötig sind niedrigschwellige Austauschformate, die in beide Richtungen funktionieren: Interessen aufnehmen und Feedback geben. Und damit einher geht auch ein verändertes Rollenverständnis. Der Wirkungsfokus als Führungskraft richtet sich stärker auf die Personen, während Aufgaben und Prozesse eher in den Hintergrund treten. Am ehesten findet sich dieses Rollenverständnis wohl in Modellen von Servant Leadership oder Digital Leadership. Und damit geht es für Führungskräfte zunehmend darum, für sich ehrlich zu prüfen, ob diese veränderte Rolle noch passt. Weniger machen, entscheiden und optimieren, sondern mehr enablen, Impulse geben und coachen.

Karriere – aus Sicht der HR-Abteilungen

Eigentlich die Quadratur des Kreises: einerseits auf Individuen zugeschnittene Karrieremodelle bereithalten und auf der anderen Seite betrieblichen Erfordernissen Rechnung tragen. Es liegen zunehmend weniger Muster, wie eine erfolgreiche Karriere aussehen könnte, in den Schubladen. Die Realisierung von Karriereerwartungen kann manchmal zu dem Eindruck führen, hier wedele der Schwanz mit dem Hund, aber es nützt nichts – es braucht für jeden, der das Thema Karriere bei HR adressiert, eine seriöse und belastbare Antwort. Zumal, wie oben beschrieben, die Bindung von insbesondere gutem Personal für HR erfolgskritisch sein könnte.

HR muss „flexibel“ sein. Was heißt das?

In erster Linie bedeutet dies, Bewusstsein bei wichtigen Entscheidern zu schaffen, die Karrieren vorantreiben. Wenn jedoch bei den Entscheidern die Einsicht fehlt, dass Karriereunterstützung Geld kostet oder dass für ein Secondment schnell und unbürokratisch Entscheidungen zu treffen sind, bleiben Karriereoptionen reine Theorie. Hinzu kommt die Bereitschaft, out of the box zu denken und kreativ Vorschläge zu entwickeln, die es so vorher nicht gab.

Zu dem nötigen Bewusstsein und der generellen Bereitschaft braucht es eine Vertrauensbasis zwischen HR und den Beschäftigten. Nur so können Mitarbeiter:innen „ergebnisoffen“ und in einem vertraulichen Rahmen über die eigenen Karriereziele sprechen, ohne Folgen für die Karriere befürchten zu müssen. Eine gute Candidate Experience wird häufig für externe Rekrutierungsprozesse eingefordert, gilt aber genauso gut für das interne Karrieremanagement. Wenn HR den Rückruf „vergisst“, weil Entscheidungen länger dauern, könnte den Erwerbstätigen schneller als früher der Geduldsfaden reißen.

Karriere – aus Sicht der Organisationen

Organisationen werden sich in mindestens zwei Richtungen neu ausrichten müssen. Es braucht weiterhin Karriereangebote, selbst wenn die Nachfrage danach durch die Erwerbstätigen abnehmen wird. Es wird weiterhin Beschäftigte geben, die eine Dekade oder länger in einem Unternehmen tätig sein wollen. Für diese Gruppe braucht es Angebote mit erhöhter Flexibilität. Nicht zuletzt, um neue Beschäftigte zu werben und zu gewinnen, ist es notwendig, dass Organisationen auf die Frage nach Karrieremöglichkeiten eine gute Antwort finden.

Eine zweite Richtung könnte man als bewussten Rückzug aus der Karriereplanung beschreiben. Für einen nennenswerten Teil der Belegschaft wird es keine überzeugende Antwort der Organisation auf Karrierewünsche geben. Dann braucht man folgerichtig das Unmögliche auch nicht zu versuchen. Der Fokus sollte sich vielmehr darauf richten, Erwerbstätige für abgrenzbare Aufgaben gezielt und befristet an Bord zu holen, z. B. als freie Mitarbeiter: innen, Consultants oder über Werkverträge. Diese Personengruppe wird zahlenmäßig wachsen, ihre Karriereplanung aber nicht in oder mit der Organisation besprechen. Diese Erwerbstätigen interessiert eine gute, professionelle und angenehme Zusammenarbeit, aber keine gemeinsame Perspektivenentwicklung.

Alles, was dazu nötig ist, findet quasi „privat“ außerhalb von Organisationen statt. Für die Organisation steht im Vordergrund, wichtige Aufgaben und Prozesse vernünftig und verlässlich zu erledigen und zu managen. Dies geschieht durchaus in vertrauensvoller und wertschätzender Interaktion mit den Leistungserbringern. Der neue Kontrakt enthält aber keine Karriereversprechen. Dieses Thema verbleibt beim Erwerbstätigen und ist nicht Gegenstand der Wechselbeziehung mit dem beauftragenden Unternehmen

Fazit

Die Nachfrage, weniger das Angebot, steuert zukünftig Karrieren. Beschäftigte sondieren Optionen, legen bevorzugte Richtungen fest und klären dann auf Augenhöhe und in vertrauensvollem Rahmen Umsetzungsmöglichkeiten. Führungskräfte und Organisationen müssen sich auf dieses veränderte Kräfteverhältnis einstellen und sich hoch flexibel zeigen, um auch künftig Talente ans Unternehmen zu binden. So einzigartig, wie die Karrierewünsche sind, sollten auch die Antworten sein, die Führungskräfte, HR und Organisationen geben. Gelingt dies nicht, findet die gewünschte Karriere woanders statt.

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