International tätige Mitarbeitende diagnostisch valide und kulturfair auswählen: Was ist dabei wichtig?

Die Zentralen großer Unternehmen sowie ihre Tochterfirmen und Produktionsanlagen sind weltweit verteilt. Ob aus Berlin, Frankfurt oder Hamburg, Mitarbeiter reisen für ihre Jobs nach New York, Shanghai oder Nairobi oder arbeiten in virtuellen Teams mit Kollegen und Kolleginnen aus aller Welt zusammen. Diese internationale Kooperation ist in vielen Organisation heutzutage Standard.

Die Auswahl von international tätigen Fach- und Führungskräften erfordert eine sorgfältige Planung und Durchführung. Nur so kann sichergestellt werden, dass die Kandidatinnen und Kandidaten nicht nur über relevante fachliche Fähigkeiten und berufliche Erfahrungen verfügen, sondern auch die kulturelle Sensibilität und Anpassungsfähigkeit mitbringen, um in einem internationalen Umfeld erfolgreich agieren zu können.

Darüber hinaus sichert eine sorgfältige Auswahl basierend auf treffsicheren diagnostischen Verfahren ein gutes Onboarding, senkt damit die Fluktuation und erhöht die Mitarbeiterbindung. Da internationale Tätigkeiten, wie etwa Entsendungen ins Ausland, sehr ressourcenintensiv sind, kommen Fehlentscheidungen oder eine vorzeitige Trennung die Organisationen besonders teuer zu stehen.

Für eine aussagekräftige Diagnostik stellt sich zunächst die Frage: Um welche Zielgruppe geht es überhaupt? Was sind deren besonderen Herausforderungen? Welche diagnostischen Verfahren eignen sich für die Zielgruppe?

Kontextabhängige Herausforderungen identifizieren

Zielgruppe: international tätige Führungskräfte, die weltweit an verschiedenen Standorten eingesetzt werden

Herausforderung: Führung multinationaler Teams, häufige Standortwechsel in unterschiedliche Kulturkreise

Art des Verfahrens: internationale Management-Assessments

Zielgruppe: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Stammhaus, die für einen begrenzten Zeitraum in eine Auslandsniederlassung entsandt werden

Herausforderung: (fachliche) Führung und Zusammenarbeit mit lokalen Teams der Auslandsniederlassung

Art des Verfahrens: Assessment-Center für Expatriates

Zielgruppe: ausländische Fachkräfte und Talente für Mangelberufe sowie Geflüchtete, die in Deutschland eine Ausbildung oder Arbeit aufnehmen

Herausforderung: fehlende Sprach- und Kulturkenntnisse sowie fehlende Vergleichbarkeit der Abschlüsse aus den Herkunftsländern mit den Abschlüssen des deutschen Bildungssystems

Art des Verfahrens:
Möglichst kulturfaire und sprachfreie diagnostische Verfahren

Sorgfälltige Anforderungsanalyse vornehmen 

Um ein aussagekräftiges Auswahlverfahren zu entwickeln, müssen im Vorfeld in einer Anforderungsanalyse zentrale Erfolgsfaktoren für die jeweilige Tätigkeit im internationalen Kontext identifiziert werden.

Am Beispiel von Expatriates, die für einen begrenzen Zeitraum ins Ausland entsendet werden, wären dies die wichtigsten Faktoren:

  • die Anforderungen der Auslandstätigkeit (Aufgaben, Funktion, Position),
  • die konkreten soziokulturellen Umfeldbedingungen im Gastland (Mentalität, Lebens- und Arbeitsbedingungen),
  • die familiären Bedingungen und die familiäre Stabilität sowie
  • die Persönlichkeitsmerkmale und Kompetenzen des Mitarbeiters.

Konzeption konsequent an Erfolgsfaktoren ausrichten

Für die Gruppe der Expatriates sind bei der Konzeption eines Assessment Centers folgende Aspekte erfolgskritisch:

  1. Zunächst sollten sich die konkreten Anforderungen der Auslandsposition in den Übungen des Assessment-Centers widerspiegeln. Wenn es sich beispielsweise um die Rekrutierung einer Projektmanagerin für China handelt, sollten Übungen enthalten sein, die typische und erfolgskritische Arbeitssituationen von Projektmanagerinnen und Projektmanagern in einem internationalen Kontext simulieren. Auf diese Weise können nicht nur „Projektmanagement-Skills“ erfasst werden, sondern auch Veränderungsbereitschaft und soziale Kompetenz.
  2. Soziokulturelle Umfeldbedingungen können bei der Konstruktion von Übungen berücksichtigt werden. Die Übungen sollten jeweils in einen länderspezifischen Kontext eingebettet sein. Im Rahmen eines Assessment-Centers kann man die Sensibilität eines Kandidaten für die veränderten Anforderungen an das Leben und Arbeiten in einem bestimmten Zielland testen. Eine Möglichkeit hierfür ist die Simulation einer Beratungssituation. Die Teilnehmer:innen erhalten die Aufgabe, ausreisende Fach- und Führungskräfte (gespielt von Beobachter:innen) auf die bevorstehende Tätigkeit in einem fremden Land vorzubereiten und über wichtige kulturelle, soziale und wirtschaftliche Veränderungen zu informieren.
  3. Die Ausreisebereitschaft der Familie sollte bereits im Vorfeld eines Assessment-Centers geklärt werden und verständlicherweise nicht erst im Rahmen des Verfahrens selbst. Die Unterstützung durch Familienmitglieder und deren Zufriedenheit stellen einen zentralen Erfolgsfaktor von Auslandsentsendungen dar (Sterle et al., 2018).
  4. Die Persönlichkeitsmerkmale und Verhaltensdispositionen betreffen die Frage, inwieweit eine Person interkulturell kompetent ist. Es ist positiv zu bewerten, dass interkulturelle Kompetenz zunehmend Eingang in die Kompetenzmodelle internationaler Unternehmen findet und damit auch zu einem Kriterium in Auswahlverfahren wird (Terörde-Wilde, 2021).
  5. Bereits in einem Vorab-Screening per Online-Test können erfolgskritische persönliche Kompetenzen wie Sprachlernfähigkeit oder interkulturelles Verständnis und Veränderungsbereitschaft valide erfasst und ausgewertet werden.

Kultursensible Faktoren berücksichtigen

Bei der Konzeption der Übungselemente und Verhaltensanker muss von vornherein eine saubere Trennung der Kompetenzen (z.B. Faktor Sprache/ Halo Effekt) erfolgen – was ist im Kontext wirklich für eine erfolgreiche Besetzung relevant? Beispielsweise können sehr gute Sprachkenntnisse in der Kompetenz „Kommunikationsfähigkeit“ andere wichtige Kompetenzen wie z.B. Veränderungsbereitschaft oder Einfühlungsvermögen „überstrahlen“.

Daher ist es ratsam, die Beobachtenden vorab gut zu schulen und für Beobachtungsfehler im interkulturellen Kontext zu sensibilisieren. Hierzu gehört auch Feedbacktraining, welches unterschiedliche kulturelle Hintergründe (z.B. Direktheit vs. Indirektheit) berücksichtigt. Es empfiehlt sich, Beobachtende einzusetzen, die für interkulturelle Settings sensibel bzw. auslandserfahren sind.

Kompetenzen treffsicher und fair einschätzen

Für bestimmte Personengruppen (z.B. Geflüchtete, ausländische Fachkräfte) eignen sich zur Ermittlung des Potenzials zudem sogenannte kulturfreie Tests, die nur geringe sprachliche Anforderungen stellen oder gänzlich sprachfrei sind. Mit Hilfe dieser Tests können beispielsweise analytische Kompetenzen wie Lernfähigkeit oder allgemeine kognitive Fähigkeiten valide erfasst werden.

Terörde-Wilde, A. (2021). Entwicklung und Evaluation eines Testverfahrens zur Diagnostik interkultureller Kompetenz (Vol. 18). Logos Verlag Berlin GmbH.

Sterle, M. F., Fontaine, J. R., De Mol, J., & Verhofstadt, L. L. (2018). Expatriate family adjustment: An overview of empirical evidence on challenges and resources. Frontiers in psychology9, 336062.

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