von Silja Petrig und Maximilian Sobetzko
Studien belegen, dass unehrliche Bewerbende im Interview besser beurteilt werden als diejenigen, die ehrlich sind. Wie also lassen sich Trugschlüsse über die Eignung der Bewerbenden aufgrund von Unehrlichkeit vermeiden?
Bewerbungsinterviews gehören branchenübergreifend zu den beliebtesten Methoden in Auswahlprozessen. Sie gelten als gut geeignetes Instrument, um Bewerbende und ihre Fähigkeiten und Eigenschaften schnell und gut kennenzulernen. Außerdem sind sie auch bei Bewerbenden selbst hoch akzeptiert.
Nicht jede Art von Interview ist allerdings gleich geeignet, um gute Bewerbende zu erkennen. Damit es eine hohe Vorhersagekraft für den Erfolg der Bewerbenden im Job erreicht, muss ein Bewerbungsinterview gewissen Qualitätskriterien folgen. Dazu gehören etwa ein Mindestmaß an Standardisierung und eine Orientierung an bestimmten Kriterien, z. B. Anforderungsprofilen oder Kompetenzmodellen.
Selbstdarstellungsverhalten: Eine Gefahr für die Vorhersagekraft von Bewerbungsinterviews
Selbst wenn zentrale Qualitätsstandards erfüllt sind, sind Interviews nicht unfehlbar. Interviewende sind zum Beispiel darauf angewiesen, dass Bewerbende ihnen gegenüber aufrichtig antworten. Ist das nicht der Fall, kann das die Ergebnisse des Interviews stark verzerren und damit die Treffsicherheit der Personalentscheidung beeinträchtigen. Darüber hinaus macht unaufrichtiges Verhalten Auswahlprozesse unfair: Bewerbende, die sich nicht besser darstellen, haben teilweise Nachteile.
Natürlich steckt nicht hinter jedem Verhalten, das Bewerbende besser dastehen lässt, eine böswillige Absicht. Menschen unterscheiden sich auch darin, wie sie ihre eigenen (tatsächlichen) Fähigkeiten inszenieren und ausschmücken. Das nachvollziehbare Ziel der Bewerbenden ist es, den Eindruck positiv zu beeinflussen, den sie bei den Interviewenden hinterlassen.
In der Psychologie wird dieses Beeinflussen auch als Selbstdarstellungsverhalten bezeichnet. Die Forschung unterscheidet dabei ehrliche von unehrlichen Formen des Selbstdarstellungsverhaltens. Für Bewerbende lohnt sich beides: Sofern Selbstdarstellungsverhalten unentdeckt bleibt, führt es zu besseren Bewertungen in Interviews. Beide Arten unterscheiden sich aber stark darin, wie sie sich in Bewerbungsinterviews äußern.
Wie äußert sich Selbstdarstellungsverhalten?
Ehrliches Selbstdarstellungsverhalten umfasst verschiedene Taktiken, wie Bewerbende sich positiv darstellen, ohne dabei zu lügen. Sie heben z. B. eigene Stärken bewusst hervor oder rechtfertigen ihre Schwächen oder Fehler, um das eigene Image zu schützen. Eine weitere Taktik umfasst das Betonen von ähnlichen Werten und Einstellungen zwischen dem Unternehmen und sich selbst sowie das Einschmeicheln mit ehrlich gemeinten Komplimenten.
Unehrliches Selbstdarstellungsverhalten wird häufig auch als Faking bezeichnet. Häufig beschönigen oder übertreiben Bewerbende die eigenen Stärken und Fähigkeiten. Manche lügen bewusst, was die eigenen Fähigkeiten anbelangt, oder erfinden Eigenschaften oder Stärken hinzu. Als Gegenstück zum ehrlichen Einschmeicheln gibt es unter den Faking-Taktiken auch das Einschmeicheln anhand unehrlicher Komplimente oder das Erfinden von Gemeinsamkeiten in den eigenen Werten und Einstellungen mit denen des Unternehmens. Zuletzt können Bewerbende auch noch negative Informationen über sich vorenthalten oder verschleiern.
Wann wird Selbstdarstellungsverhalten eingesetzt?
Selbstdarstellungsverhalten kommt häufig vor. Da es oft schwierig ist, es eindeutig zu identifizieren (und Bewerbende nur ungern Auskunft über eigenes Selbstdarstellungsverhalten geben), liefern Studien keine handfesten Zahlen zum Auftreten. Gut belegt ist, dass ehrliches Selbstdarstellungsverhalten deutlich häufiger auftritt als Faking. Schätzungen zufolge wird in 66-99% der Bewerbungsinterviews mindestens eine Selbstdarstellungs-Taktik eingesetzt. Faking wird hingegen je nach Studie nur von ca. 17-70% der Untersuchten angewandt (vgl. Bourdage, J. S., Roulin, N., & Tarraf, R. (2018).
Dem bekanntesten theoretischen Modell der Forscher Levashina und Campion aus dem Jahr 2006 zufolge müssen dafür drei Bedingungen gegeben sein: Der oder die Bewerbende benötigt nicht nur die Gelegenheit zu faken, sondern muss auch die Fähigkeiten (vor allem kognitive Kapazität und soziale Kompetenzen) und Bereitschaft besitzen, um Faking (erfolgreich) einzusetzen.
Wer betreibt Faking und wer ehrliches Selbstdarstellungsverhalten?
Faking tritt besonders bei Personen auf, die Persönlichkeitseigenschaften haben, die sich negativ auf das Arbeitsumfeld auswirken. Dazu zählen narzisstische Menschen und solche, die ein überzogenen Selbstbild haben, anderen misstrauen oder sie zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen. Außerdem wird Faking oft von Personen betrieben, die generell weniger ehrlich sind und Faking gegenüber einepositive Einstellung haben.
Alle diese Charakteristiken sind tendenziell kontraproduktiv im Arbeitsleben. Beispielsweise wirkt sich antisoziales Verhalten negativ auf das Wohlbefinden der Mitarbeitenden und Kolleg*innen aus. Darüber hinaus bestehen Verbindungen zu Diebstahl im Unternehmen, unerlaubten Fehlstunden und Aggression am Arbeitsplatz.
Über die Persönlichkeitseigenschaften, die mit ehrlichem Selbstdarstellungsverhalten in Verbindung stehen, ist wenig(er) bekannt. Die Zusammenhänge mit negativen Persönlichkeitseigenschaften scheinen allerdings deutlich kleiner zu sein. Viele Interviewende verstehen es gleichzeitig sogar als Stärke, wenn Bewerbende sich gut inszenieren und die eigenen Stärken gut kommunizieren zu können. Auch treten entsprechende Bewerbende häufig selbstbewusst auf. Außerdem scheint ehrliches Selbstdarstellungsverhalten weniger gefährlich für die Vorhersagekraft des Interviews zu sein, da Bewerbende ja tatsächlich über die Fähigkeiten und Eigenschaften verfügen, die sie in Szene setzen.
Ein Fazit kann es also sein, den Fokus auf tatsächliches Faking-Verhalten zu legen und es nach Möglichkeit zu verhindern. Unternehmen sind also gut beraten, zu versuchen, Faking-Verhalten frühzeitig zu erkennen und anderen Bewerbenden den Vortritt in Auswahlprozessen zu lassen.
Wie lässt sich Faking verhindern?
Wie kann das funktionieren? Die Persönlichkeit und die kognitiven Fähigkeiten, die es für Faking braucht, können Interviewende nicht beeinflussen. Einblicke liefern können Persönlichkeitstests, die unerwünschte Eigenschaften identifizieren, die mit Faking-Verhalten zusammenhängen. Gelingt es Interviewern, so bei Bewerbenden die Gefahr von Faking zu erkennen, können sie mit größerer Achtsamkeit für das Thema vorgehen.
Die vielversprechendste Option ist es jedoch, Bewerbenden im Interview möglichst wenige Gelegenheiten zu bieten, in denen sie faken können. Dies lässt sich beispielsweise umsetzen, indem strukturierte Interviews mit Leitfäden genutzt werden. Unternehmen könnten von gezielten Trainings für Interviewende profitieren, in denen diese darin geschult werden, wie sie strukturierte Interviews bestmöglich vorbereiten und durchführen können. Zudem ist es sinnvoll, überprüfbare und Fragen zu stellen (etwa zu bisherigen Erfahrungen von Bewerbenden) und ins Detail zu gehen, um Ungereimtheiten schnell erkennen zu können.
Außerdem können Unternehmen versuchen, die Motivation für Faking zu senken, indem ein offener Umgang mit Schwächen und Lernfeldern sowie eine konstruktive Fehlerkultur betont werden. Dies kann gleichzeitig zur Candidate Experience von Bewerbenden beitragen.
Am wichtigsten bleibt, sich Selbstdarstellungsverhalten und seine Auswirkungen bewusst zu machen. Das macht es für Interviewer noch leichter möglich, die wirklich am besten geeigneten Bewerbenden auszusuchen.
- Bourdage, J. S., Roulin, N., & Tarraf, R. (2018). “I (might be) just that good”: Honest and deceptive impression management in employment interviews. Personnel Psychology, 71, 597–632.
- Buehl, A. K., Melchers, K. G., Macan, T., & Kühnel, J. (2019). Tell me sweet little lies: How does faking in interviews affect interview scores and interview validity?. Journal of Business and Psychology, 34(1), 107-124.
- Levashina, J., & Campion, M. A. (2006). A model of faking likelihood in the employment interview. International Journal of Selection and Assessment, 14, 299–316.