Psychologische Tests und Fragebögen erfreuen sich großer Beliebtheit und werden in vielen Kontexten eingesetzt. Neben der Forschung spielen sie in der Personalauswahl, aber auch im Bildungswesen – etwa bei der Auswahl von Studierenden oder Stipendiaten – eine wichtige Rolle. Doch wo kommen hier die Ameisen und der sogenannte Ameisenalgorithmus ins Spiel?
Ökonomie von Testverfahren ein immer wichtigeres Kriterium
Vielen Auswahlverfahren in der Praxis ist gemein, dass ihre Zeitökonomie ein immer bedeutsameres Kriterium wird. Getreu dem Motto „Zeit ist Geld“ gilt es, mit möglichst geringen zeitlichen und damit verbundenen finanziellen Ressourcen ein Maximum an auswahlrelevanten Informationen über Bewerberinnen und Bewerber in Erfahrung zu bringen. Neben großen Kosteneinsparungen ist ein weiterer Vorteil von Test- bzw. Fragebogenverkürzungen durch eine Aufgaben- bzw. Fragenselektion eine verbesserte Candidate Experience sowie Akzeptanz des Auswahlverfahrens – und genau hierbei können Ameisen helfen!
So verlockend die Aussicht auf einen schnellen Informationsgewinn mittels Kurzversionen von Tests und Fragebögen auch sein mag – verkürzte Messinstrumente sind prinzipiell anfällig für eine Vielzahl von Problemen: Denkbar ist etwa eine Veränderung der internen Struktur des Messinstruments; außerdem kann die Messgenauigkeit und als Folge daraus die Fähigkeit zur Unterscheidung der Leistungsniveaus verschiedener Bewerberinnen und Bewerber leiden. Ebenso sollten Zusammenhänge des Test- bzw. Fragebogenergebnisses zu relevanten Kriterien wie Berufs- oder Studienerfolg erhalten bleiben. Essenziell ist also, eine bestmögliche Äquivalenz des verkürzten Messinstruments zum Originaltest bzw. -fragebogen herzustellen.
Während traditionelle Methoden der Aufgaben- bzw. Fragenauswahl meist nur einen der oben genannten Aspekte berücksichtigen, bieten sogenannte Metaheuristiken bzw. automatische Optimierungsalgorithmen deutlich flexiblere Möglichkeiten. Ein prominentes Beispiel für einen solchen Optimierungsalgorithmus ist der von Beobachtungen an Ameisen inspirierte Ant Colony Optimization‑(ACO‑)Algorithmus.
So funktioniert der Ameisenalgorithmus
In Experimenten mit Ameisen wurde herausgefunden, dass Ameisen nach einer anfänglichen Phase des Umherirrens dazu neigen, den kürzesten Weg von ihrem Nest zu einer Futterquelle zu wählen. Ursächlich hierfür ist eine chemische Spur aus Pheromonen, die jede Ameise auf ihrem Weg vom Nest zur Futterquelle hinterlässt. Da pro Zeiteinheit auf der kürzesten Route mehr Ameisen verkehren als auf längeren Alternativrouten, sammeln sich die Pheromone auf der kürzesten Route an. In der Folge locken höhere Pheromonspiegel wiederum mehr Ameisen an, bis die Mehrheit der Ameisen schließlich die kürzeste Route wählt.
Im Kontext der Aufgaben- bzw. Fragenauswahl funktioniert der Ameisenalgorithmus vereinfacht dargestellt wie folgt: Zunächst werden verschiedene Zusammenstellungen von Aufgaben bzw. Fragen (= Ameisen) zufällig aus dem vorhandenen Pool gezogen. Nun wird für jede Zusammenstellung ein statistisches Modell geschätzt. Auf dieser Basis erfolgt eine Bewertung der Zusammenstellung hinsichtlich einer vorher festgelegten Optimierungsfunktion (= kürzeste Route). In diese Optimierungsfunktion können verschiedene Kriterien (z. B. interne Struktur des Messinstruments, Messgenauigkeit und Zusammenhänge zu relevanten Außenkriterien) gleichzeitig einbezogen werden. Im einfachsten Fall werden alle Optimierungskriterien gleich gewichtet; die Optimierungsfunktion maximiert dann die Summe der Optimierungskriterien. Sind einzelne Kriterien von besonderer Bedeutung für den Auswahlprozess, bietet der Ameisenalgorithmus zusätzliche Anpassungsmöglichkeiten in Form einer höheren Gewichtung des entsprechenden Kriteriums. Aufgaben bzw. Fragen der Zusammenstellung, welche die Optimierungskriterien am besten erfüllen, werden in der nächsten Iteration des Prozesses mit höherer Wahrscheinlichkeit ausgewählt. Mit zunehmender Iterationszahl des Algorithmus kristallisiert sich ein immer deutlicheres Muster heraus. Ergebnis ist dann eine hinsichtlich der zu optimierenden Aspekte effiziente Aufgaben- bzw. Fragenauswahl. Auch bei der Wahl der optimalen Testlänge bzw. Aufgaben- oder Fragenanzahl kann der Ameisenalgorithmus wertvolle Ansatzpunkte liefern.
Gut Ding will Weile haben
Den bislang erörterten Vorteilen der Verwendung des Ameisenalgorithmus stehen zwei Einschränkungen gegenüber: Erstens findet der Ameisenalgorithmus zwar eine effiziente, aber nicht zwangsläufig die bestmögliche Kurzversion eines Tests bzw. Fragebogens. Jedoch sei angemerkt, dass die Berechnung aller möglichen Kurzversionen, vor allem bei einem umfangreichen bestehenden Aufgaben- bzw. Fragenpool, in der Regel unmöglich ist. Der Ameisenalgorithmus bietet einen Ausweg aus diesem computationalen Problem. Nichtsdestotrotz ist auch ein Ameisenalgorithmus im Vergleich mit traditionellen Methoden computational noch als aufwändig einzustufen. Diese zweite Einschränkung äußert sich in – je nach Aufgaben- bzw. Fragenanzahl – stunden- bis tagelangen Berechnungen.
Ungeachtet dessen handelt es sich bei dem Ameisenalgorithmus um ein mächtiges Tool zur Optimierung von verkürzten Online-Tests und Fragebögen. Seine große Stärke liegt in der Vielseitigkeit der Kriterien, die bei der Auswahl der Aufgaben bzw. Fragen zugrunde gelegt werden können. Damit bieten sich spannende neue Möglichkeiten zur flexiblen und effizienten Gestaltung von Auswahlverfahren.
Schroeders, U., Wilhelm, O., & Olaru, G. (2016). Meta-heuristics in short scale construction: Ant colony optimization and genetic algorithm. PLoS ONE, 11(11), e0167110.