VUCA, Big Data, People Analytics, Fachkräftemangel, Gamification, Agiles Arbeiten, New Work – Begriffe wie diese sind in der Arbeitswelt omnipräsent. Doch was davon ist für HR wirklich relevant? Was wird in den nächsten Jahren die HR-Welt beschäftigen und nachhaltig verändern? Wie muss Diagnostik sein, um für Bewerber und HRler gleichermaßen zukunftsfähig und ansprechend zu bleiben?
Um vor dem Hintergrund dieser zentralen Fragen der HR-Welt unsere Kunden auch in Zukunft mit innovativen Angeboten begeistern zu können, gründeten wir, das Team der ITB Consulting, eine „Task Force Innovation“. Ziel dieser Arbeitsgruppe ist es, mittels der Methode des Design Thinking innovative Lösungen zu entwickeln. Dabei setzen wir genau dasjenige Vorgehen ein, welches wir schon vielen Fach- und Führungskräften unserer Kunden in unseren Design-Thinking-Trainings vermittelt haben. Dabei definierten wir zu Beginn die Frage: „Wie muss Diagnostik sein, um für Bewerber und HRler gleichermaßen zukünftig und ansprechend zu bleiben?“ In der anschließenden „Emphasize-Phase“, ging es darum, die Perspektive der betroffenen Nutzer dieser Fragestellung besser zu verstehen, um passgenaue Lösungen zu entwickeln. In diesem Rahmen führten wir über 30 Interviews mit verschiedensten Gesprächspartnern aus HR-Abteilungen, mit den „Kunden“ von HR (Bewerber, Mitarbeiter, Führungskräfte) und mit Forschern sowie Trendsettern. Besonders die Vielfalt unterschiedlicher Perspektiven, Erfahrungen und Expertise machen die Ergebnisse dieser Befragung zu einem reichen Fundus aktueller Themen der HR-Welt. Die erhaltenen Antworten haben wir im Folgenden verdichtet.
Fachkräftemangel führt zu Azubimangel
Der sich verschärfende Fachkräftemangel stellt viele – besonders mittelständische – Unternehmen vor große Probleme. Er ist dabei vor allem bei Nicht-Akademikern und ITlern zu spüren. Als Konsequenz setzen immer mehr Unternehmen darauf, selbst Fachkräfte zu entwickeln – und erhöhen die Anzahl ihrer Azubi-Stellen. Aus dem Fachkräftemangel wird so ein Azubimangel. Einige Unternehmen reagieren darauf mit einer Senkung der Mindestanforderungen an die Personen, denen sie eine Ausbildung anbieten. Mit entsprechenden Konsequenzen: Es gibt hohe Abbruchquoten unter Auszubildenden, die Mitarbeiter müssen mehr Zeit in die Ausbildung der Azubis investieren und es gibt auf Grund der geringeren Passung der Azubis zu ihrem Job auch unter den Mitarbeitern mehr Konflikte. Unternehmen wiederum, die noch stark auf Qualität bei der Bewerberauswahl achten, verschrecken potenzielle Bewerber häufig mit aufwändigen Auswahlverfahren. Allerdings sichern gerade solche qualitativ hochwertigen eignungsdiagnostischen Methoden wie z. B. Assessment Center oder Eignungstests eine valide Bewerberauswahl ab.
Einen Ansatzpunkt, um der Problematik des Azubimangels bzw. der mangelnden Passung von Azubis zu begegnen, stellt eine systematische Unterstützung der Berufsorientierung dar. Viele angehende Auszubildende berichten über Schwierigkeiten bei der Auswahl eines den eigenen Fähigkeiten und Interessen entsprechenden Ausbildungsberufs und -betriebs. Indem Unternehmen hier ansetzen und angehende Auszubildende in ihrer beruflichen Orientierung unterstützen, Möglichkeiten zur Reflexion der individuellen Neigungen und Fähigkeiten anbieten und zugleich passgenaue Informationen zu möglichen Ausbildungsgängen bereitstellen, kann eine Win-Win-Situation für Unternehmen und potenzielle Bewerber geschaffen werden.
Personalentwicklung statt Personalauswahl
Interne „Orientierungsdiagnostik“ und Potenzialanalysen nehmen einen höheren Stellenwert ein als die klassische Personalauswahl/Auswahldiagnostik mit Hilfe von z. B. Assessment Centern. Schon heute können es sich viele Unternehmen nicht mehr leisten, einen Bewerber für eine exakt definierte Stelle zu suchen. Stattdessen gilt es, Potenzialträger, die hinsichtlich Kultur und Werteverständnis zum Unternehmen passen, zu identifizieren und entsprechende Stellen für diese zu finden oder zu schaffen. Damit wird gleichzeitig das Ziel verfolgt, Talenten attraktive Entwicklungsmöglichkeiten im eigenen Unternehmen zu bieten und diese damit an das Unternehmen zu binden. Das für die individuelle Entwicklung notwendige Lernen muss dabei in die eigene Unternehmenskultur integriert werden, damit eine intrinsische Motivation für die (persönliche) Weiterentwicklung und Weiterqualifizierung entstehen kann.
Entwicklungsfähigkeit und Selbstreflexion als „Kompetenzen der Zukunft“
Welche Kompetenzen gilt es überhaupt noch zu messen, wenn wir heute noch nicht wissen, was genau morgen im beruflichen Umfeld gebraucht wird? Kontinuierliche Weiterentwicklung, Anpassung an geänderte Rahmenbedingungen, Selbstreflexion, adaptives Lernen, Motivation und Veränderungsbereitschaft werden in Zukunft zu Schlüsselkompetenzen. Aufgabe für Personaler wird es sein, diese Kompetenzen zu definieren, messbar zu machen und Konzepte zu entwickeln, wie diese gefördert werden können. Potenzialanalysen, die nicht auf den aktuellen Leistungsstand von Kandidaten abzielen, sondern die Leistungsfähigkeit in weiterführenden Aufgaben in den Fokus rücken, stellen ein Instrument dar, mit dem auch zukünftige Leistungen erfasst werden können.
Dabei entsteht insbesondere die Herausforderung, Menschen, die nur eingeschränkt über oben genannte Zukunftskompetenzen verfügen, nicht abzuhängen und z. B. Mitarbeiter, deren Jobs durch Digitalisierung wegfallen, so weiterzuentwickeln, dass sie neue Aufgaben im Unternehmen übernehmen können.
HR muss mehr internes Marketing betreiben
In den Unternehmen gibt es vielfach sehr gut qualifizierte HR-Experten, die die vielen Trends aufmerksam verfolgen. Vielfach stehen sie vor mehreren Herausforderungen: Die größte Herausforderung sind die häufig sehr knappen zeitlichen wie finanziellen Ressourcen, mit denen sie auskommen müssen. Eine gute „Vermarktung“ der eigenen Produkte – sowohl in Richtung interne Geldgeber als auch in Richtung Teilnehmer – wird immer wichtiger. HR-Mitarbeiter brauchen daher zunehmend Marketing-Kompetenzen.
Zudem ist es schwierig, in der Fülle von Angeboten und Dienstleistern, die mit schicken und modernen Produkten effizientere Recruitingprozesse, bessere Auswahlentscheidungen, höhere Mitarbeiterbindung und vieles mehr versprechen, den Überblick zu behalten. Gütekriterien oder Standards wie die DIN 33430 zur berufsbezogenen Eignungsdiagnostik können dabei helfen, die Qualität von Diagnostik-Produkten zu beurteilen.
Candidate Experience
Für Unternehmen wird, ausgelöst durch den bereits erwähnten Fachkräftemangel, Marketing eine noch höhere Bedeutung haben. Durch ansprechend gestaltete Diagnostik, die Lust auf das Unternehmen macht, und direkte Rekrutierung an Unis oder auf Messen können passende Bewerber erreicht werden. Der darauffolgende Bewerbungsprozess muss bewerberfreundlich gestaltet sein, um das Interesse der Bewerber aufrechtzuhalten und keine potenziell geeigneten Kandidaten abzuschrecken.
Stellenausschreibungen mit einem Fokus auf Soft Skills und klar nach „must have“ und „nice to have“ definierten Anforderungen motivieren auch diejenigen Kandidaten zur Bewerbung, die sich nicht sicher sind, ob ihre Qualifikationen in allen Punkten ausreichen. Zudem führt die Darstellung von Benefits wie Entwicklungsmöglichkeiten, flexiblen Arbeitszeiten, Home-Office, Sportangeboten usw. in Stellenausschreibungen und auf der Karriereseite dazu, dass Bewerber sich mit dem Unternehmen intensiver auseinandersetzen.
Ein zügiger, verbindlicher, fairer und auf den Bewerber zugeschnittener Auswahlprozess mit anschließendem verhaltensnahen Feedback bringt auch abgelehnte Bewerber dazu, das Unternehmen weiterzuempfehlen und sich (möglicherweise nach weiterer Qualifizierung) zu einem späteren Zeitpunkt erneut zu bewerben.
Auswahltools als Wundermittel?
Tools des Auswahlprozesses müssen somit vielen Anforderungen standhalten und als Wundermittel wirken. Eine einfache Handhabung, Transparenz, Fairness und Akzeptanz gelten neben den klassischen Gütekriterien nach wie vor als Standardanforderungen. Auch die Integration von spielerischen Elementen (Gamification) wird in Zukunft eine immer größere Rolle einnehmen. Diesen Anforderungen können Tools – der Digitalisierung sei Dank – zunehmend genügen. Intelligente Technologien können für den Auswahlprozess genutzt werden und gleichzeitig eine gezielte Weiterentwicklung von Mitarbeitenden ermöglichen.
Neben klassischen Tools dringt auch KI zunehmend in Personalauswahlprozesse vor. Diese Verfahren wie z. B. Sprachanalyse werden jedoch sehr kontrovers diskutiert und werfen qualitative, ethische und datenschutzrechtliche Fragen auf. KI-gestützte Zugänge scheinen daher auch (noch) keine „Wundermittel“ oder Allesheiler der Diagnostik zu sein. Sie werden aber weiterhin die HR-Welt begleiten und bedürfen daher regelmäßig der konstruktiv-kritischen Prüfung durch HR-Verantwortliche.